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Montag, 12. Juni 2006

Fachtagung Kinderheim Scherfede Mai 2006





Eine offene Diskussion

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Eine offene Diskussion

Sven Freytag, Matthias Kochs, Hiltrud Wegehaupt-Schlund und Peter Wensierski (von links) stellen sich den Fragen von ehemaligen Heimkindern und Journalisten.


"Beispiel für pädagogische Fehler"
Kinder- und Jugendhilfe St. Johannisstift setzt sich mit Historie der Heimerziehung auseinander


VON ANJA SPARBROD
¥Paderborn/Warburg. Sven Freytag fehlen buchstäblich die Worte. "Ich bin noch ganz zu von den vielen geschilderten Ereignissen", entschuldigt sich der Geschäftsführer des St. Johannisstiftes in Paderborn. So viele ehemalige Heimkinder waren auf Einladung der Kinder- und Jugendhilfe St. Johannisstift nach Paderborn gekommen. Und sie alle hatten ihre Erlebnisse aus den unterschiedlichsten Heimen in Deutschland mitgebracht und wollten sie endlich, endlich einmal loswerden.

Die Kinder- und Jugendhilfe St. Johannisstift – heutiger Träger der Kindervilla in Scherfede – hatte zu einer Fachtagung über die Historie der Heimerziehung eingeladen. "Ein Auslöser war das im Februar erschienene Buch ,Schläge im Namen des Herrn’ des Spiegel-Autors Peter Wensierski", sagte Matthias Kochs, der lange Jahre Leiter der Einrichtung in Scherfede war. Inzwischen ist er der Gesamteinrichtungsleiter Evangelische Kinder- und Jugendhilfe St. Johannisstift GmbH. Seit drei Jahren versucht er, die Vergangenheit von Scherfede aufzuarbeiten. Eine Vergangenheit, in der Kinder geschlagen wurden, Zärtlichkeit ein Fremdwort war und das Einsperren als Strafe an der Tagesordnung. "Wir sehen das Kapitel über die Vergangenheit unserer Einrichtung in Scherfede als grundsätzlich beispielhaft an für pädagogisches Fehlverhalten bis zum Teil in die 70er Jahre hinein in vielen deutschenHeimen", sagte Kochs. Zehn Thesen hatte er für die Fachtagung formuliert, die auch noch über den gestrigen Tag hinaus wirken sollen. "Wir wollen nun, nachdem uns die Vergangenheit der Heimerziehung in der Gegenwart eingeholt hat, nicht die Augen und Ohren verschließen, sondern uns offen und aktiv mit dem Thema beschäftigen; zuhören, reflektieren und agieren", lautet ein Punkt des Thesenpapieres.
"Wir bedauern die schlimme Tatsache, dass Gewalt und Unterdrückung die pädagogische Haltung und Methode vieler Menschen gewesen ist und nicht die Tat von einigen wenigen Verirrten und Verwirrten", so Kochs, der sich für den Tag der Fachtagung sich noch ein "stärkeres Aufeinanderzugehen" gewünscht hätte.
"Man kann in Deutschland keine Wunder erwarten, was die Aufarbeitung von Geschichte angeht", meinte Buchautor Peter Wensierski. Er sei auch nicht enttäuscht über die Reaktion von zwei älteren Diakonissen, die zunächst die Geschichten der Betroffenen anzweifelten. "Wenn man konkret nachfragt: Gab es Valium für die Kinder? – antworten sie ja", so Wensierski. Es müsse auf beiden Seiten noch viel geschehen, noch viele Bücher geschrieben werden, viele Filme gedreht. "Der Prozess der Aufarbeitung geht nicht so einfach", so der Spiegel-Autor.
Die Träger wollen aus der Vergangenheit lernen. "Mit dem neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz hat sich ein Paradigmenwechsel in der Erziehungshilfe vollzogen", so Hiltrud Wegehaupt-Schlund vom Fachverband für Erziehungshilfen in Westfalen-Lippe.¦Kommentar
(FOTO REINHARD ROHLF)

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