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Freitag, 23. Januar 2009

Ehemalige Heimkinder klagen über Misshandlungen

Ehemalige Heimkinder klagen über Misshandlungen

28.05.04 - 14:13

Kassel (rpo). In deutschen Heimen sind bis in die Mitte der 80er Jahre
hunderte Kinder systematisch misshandelt worden, vor allem von
katholischen Nonnen, Priestern und Erziehern. Das sagte der Vorsitzende
der "Bundesinteressensgemeinschaft der misshandelten und missbrauchten
Heimkinder Deutschlands", Jean-Pierre de Picco, am Freitag.

In 90 Prozent aller Fälle seien die Kinder in katholischen Heimen
misshandelt worden. Rund 3.600 Heime habe es in den 50er und 60er Jahren
in Deutschland gegeben, sagte er. Bei den Misshandlungen habe es sich
nicht um Einzelfälle gehandelt. Viele Betroffene leiden nach seinen
Angaben heute noch unter den erlittenen Misshandlungen. Angststörungen,
Suchterkrankungen, Albträume und Depressionen seien bei den ehemaligen
Heimkindern keine Seltenheit. "Wir fordern eine öffentliche
Entschuldigung für das Leid, dass uns in den Heimen angetan worden ist",
sagte de Picco.

Am Samstag treffen sich etwa 100 Betroffene zu einem Kongress des
Vereins in Kassel. "Wir bauen gerade eine Datenbank mit den Berichten
von Betroffenen auf", berichtete de Picco.

"Wir wurden von den Nonnen selbst bei Kleinigkeiten blutig geprügelt und
ausgepeitscht", sagte de Picco. Zur Nikolauszeit seien sie mit
Dornenstöcken geprügelt worden. Der Künstler und Stadtschreiber in
Hameln war von 1963 bis 1972 in Lippstadt in einem katholischen Internat
der "Heiligen Hedwigschwestern" untergebracht. Mittlerweile ist das
Internat geschlossen. Gefürchtet sei bei den Kindern auch gewesen, über
Nacht im Keller bei den "toten Nonnen" eingesperrt zu werden. Dort
wurden die verstorbenen Nonnen vor ihrer Bestattung aufgebahrt.

Zwei Jahre Hausarrest

Mädchen, die erstmals ihre Menstruation bekommen hatten, mussten
ebenfalls mit Bestrafung rechnen, weil sie "sündig" wurden, berichtete
de Picco. Haben Kinder nicht pariert, seien sie in den Heimen an ihre
Betten gekettet und mit Medikamenten ruhig gespritzt worden. Lehrer,
Jugendämter oder der Vormund hätten über die Misshandlungen geschwiegen.
"Heute ist die Situation aber anders, da gibt es in den Heimen viel mehr
Kontrollen", sagte de Picco.

Auch die 58-jährige Gila M. aus Paderborn berichtete von schweren
Misshandlungen durch Nonnen. Sie war von 1961 bis 1962 im Dortmunder
Vincenz-Heim untergebracht. "Ich bin da psychisch fertig gemacht
worden", sagte sie. Sie habe als 15-jährige zwei Jahre lang nicht das
Haus verlassen dürfen. "Es ging nur um den störungsfreien
Arbeitsablauf", sagte Gila M. Sie habe acht bis zehn Stunden täglich in
der Wäscherei hinter der Mangel stehen müssen, ohne auch nur mal extra
etwas Wasser zu bekommen. "Sprechen war von den Vincenz-Schwestern aus
verboten, stattdessen mussten wir ununterbrochen Marienlieder singen",
sagte die 58-Jährige. Immer wieder hätten Mädchen Selbstmord begangen.
Es habe zwar auch nette Nonnen und Erzieher gegeben. "Die wurden aber
schnell weggemobbt oder versetzt", berichtete sie. Erst heute könnten
Betroffene über ihre Heimerfahrung sprechen. "Viele verdrängen das aber
immer noch oder haben Angst, dass man ihnen sowieso nicht glaubt", sagte
Gila M.

Seit Gründung des Vereins der misshandelten Heimkinder Anfang des Jahres 2004
gibt es laut de Picco Hunderte Anfragen Betroffener aus ganz Deutschland
und sogar aus den Niederlanden und Spanien. "Uns würde eine öffentliche
Entschuldigung der Kirche und der Ordensinstitutionen enorm helfen, die
Misshandlung zu verarbeiten", sagte de Picco. Auch eine einmalige
Entschädigungszahlung wäre wünschenswert. Bislang habe die Kirche jedoch
zu den Vorwürfen geschwiegen.

Vom Caritasverband und der Deutschen Bischofskonferenz war zum Kongress
der misshandelten Heimkinder keine Stellungnahme zu erhalten.

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