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Samstag, 12. Juni 2004

24.11.2003

VON ANJA SPARBROD
Neue Westfälische 24.11.2003
Paderborn. Matthias Lehmkuhl und Peter Dittrich vom Landesjugendamt beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) sind geschockt. „Das ist ja wohl unvorstellbar“, sagt Lehmkuhl. Mehr als drei Stunden haben die beiden LWL-Mitarbeiter sich die Lebensgeschichten von Menschen, die ihre Kindheit und Jugend in christlichen Heimen verbringen mussten angehört.

Und wenn die einzelnen Geschichten der 50er, 60er und 70er Jahre ganz unterschiedlich sind: Die Menschen, die sich im Arbeitslosenzentrum in Paderborn versammelt haben, berichten von Schlägen, Schikanen, Missbrauch. Da ist Gerd, der am Salvatorkolleg in Hövelhof für große Unternehmen arbeiten musste. War er aufsässig, kam er in den „Bunker“. Nur ein Bett und ein Eimer waren in dem Raum. „Zwei Wochen keinen zum Sprechen, nichts zu lesen“, sagt er. Seine Stimme wird brüchig, Ehefrau Elke kommen die Tränen. Viel zu lange hat ihr Mann geschwiegen. Pierre, der mit zwölf Geschwistern im St. Hedwigsheim in Lippstadt untergebracht war, durfte „zur Strafe“ nicht zur Beerdigung seiner Mutter und Stefan kann sich noch an die Namen jedes einzelnen Mannes erinnern, der sich die kleinen Jungs am Wochenende aus dem
Josefskinderheim in Lippstadt zu sich nach Hause
holte, um sie dann zu missbrauchen. „Es ist bedrückend, so etwas zu hören“, sagt Herr Dittrich. Als vor einem halben Jahr die ersten Schicksale von ehemaligen Heimkindern an die Öffentlichkeit kamen, stoppte der LWL sofort die turnusmäßige Vernichtung von Akten. „Viele Akten aber existieren leider nicht mehr“, so Dittrich. Und die so beschuldigten Nonnen, Heimleiter und zuständigen Aufsichtspersonen beim LWL sind inzwischen betagt und alt.

„Wir können nur anbieten, dass wir bei der Aufarbeitung der Einzelfälle behilflich sind“, so die beiden Mitarbeiter vom Landesjugendamt. Darüber hinaus werde sich der Landesjugendhilfeausschuss in seiner nächsten Sitzung noch vor Weinachten mit dem Thema befassen. Das ist auch der Initiative der Paderbornerin Marlene Lubek zu verdanken, sie ist Mitglied der SPD-Kreisfraktion in Paderborn und der Landschaftsversammlung in Münster. Auch die Träger der freien Wohlfahrtspflege werden inzwischen sensibel für die Thematik: Die Caritas in Paderborn plant eine Fachtagung zum Thema.

Zu einer Vereinsgründung, wie es eigentlich geplant war, kam es an diesem Tage noch nicht. Stattdessen haben sich die Betroffenen zur „ Bundes-Interessengemeinschaft misshandelter ehemaligen Heimkinder von 1945-1985 zusammengeschlossen.
@ November 2003

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